The Chronicler of Augsburg, Wilhelm Rem
A Free Translation of parts of Heit 421 of Historische Studien
Vier augsburger Chronisten der Reformationszeit
By Carla Kramer-Schlette
Matthiesen Verlag - Lubeck and Hamburg 1970
Note: The biographical sketch and sections 1 and 2 were translated with the help of Google. The later sections are far too sophiscated to rely on Google and so were translated by my friend Bjorn Arntzen.
Wilhelm Rem
Wilhelm Rem wurde 1462 in Augsburg geboren. Seine Familie hatte ursprünglich dem Patriziat angehört, bis sie 1386 wegen einer betrügerischen Manipulation eines Familienangehörigen die Ratsfähigkeit verlor. Ende des 15. Jahrhunderts genossen die Rem jedoch wieder hohes Ansehen, waren mit den vornehmsten der reichen augsburger Familien verschwägert und besaßen selbst z. T. beträchtlichen Reichtum. Wilhelm beschäftigte sich mit Handelsgeschäften in Augsburg und vermehrte sein anfänglich bescheidenes persönliches Vermögen langsam aber stetig. 1485 hatte er sich mit Walburga Fugger, einer Schwester Jakobs des Reichen, vermählt. Rem starb im Lauf des Jahres 1529. Sein einziger Sohn wurde 1538 ins Patriziat aufgenommen. Von Rems Lebensumständen, von seiner Ausbildung, seiner beruflichen Tätigkeit und seinem Umgang ist uns nichts bekannt. Wir dürfen annehmen, daß er die zeitübliche kaufmännische Lehrzeit mit einem längeren Aufenthalt in Italien durchlief. Ob er, so wie sein Verwandter Lucas Rem, lange Geschäftsreisen in fremde Länder machte, muß offen bleiben und ist, zumindest für sein letztes Lebensjahrzehnt, wenig wahrscheinlich, da er alle innerstädtischen Ereignisse dieses Zeitraums genau kannte und berichtete.
[Wilhelm Rem was born in 1462 in Augsburg. His family had originally belonged to the Patriziat, until the family lost this status in 1386 because of a fraudulent manipulation by a relative. By the end of the 15th Century the Rem family again enjoyed a high reputation, were brothers-in-law with the most distinguished rich Augsburg families, and possessed considerable wealth. Wilhelm was busy with commercial transactions in Augsburg and slowly increased his initially modest personal fortune. In 1485 he had married Walburga Fugger, a sister of Jakob Fugger. Wilhelm Rem died in 1529. His only son was accepted in 1538 into the Patriziat. Of Wilhelm Rem's life circumstances, his training, his vocational activity and his handling, nothing is known. We may assume that he went through commercial training during a long stay in Italy. Whether it is true, as related by Lucas Rem, that he made long business trips to strange countries, must remain open and is not very probable, since he knew and reported all the events in Augsburg during this period.]
Wenn wir auch nichts von freundschaftlichen Beziehungen Rems zu seiner Verwandtschaft und den gesellschaftlichen Größen der Stadt wissen - einem engeren Verkehr mit der Familie seiner Frau stand vielleicht " seine Neigung zur lutherischen Lehre im Weg -, so boten sich ihm doch dank seiner nicht unbedeutenden sozialen Position ohne Zweifel beste Möglichkeiten, sich über alles politische und wirtschaftliche Geschehen der Welt auf dem laufenden zu halten.
[Even if we don't know anything about Wilhelm Rem's friendly relations with his relatives and the social elite of the city, Wilhelm Rem's inclination to Lutheran teachings got in the way of closer relations with the family of his wife. Nevertheless, owing to his social position, opportunities arose for him to observe the political and economic happening of the world.]
From the sections of the text about Wilhelm Rem …
1. Beziehung zur Natur und Verhältnis zum Wunderbaren
Wie die Mehrzahl seiner Zeitgenossen betrachtete Rem Wetter- und Erntenachrichten als ernsthafte Materie, die einen breiten Raum in einer Chronik verdiente. Durch alle Jahre hindurch notierte er treulich ungewöhnlich kalte oder warme Winter und dürre oder üppige Sommer mitsamt ihren guten oder üblen Auswirkungen auf die Obst und Getreideernte. Eine unauffällige Notiz verrät, daß Rem selbst einen Garten besaß; daß er an Obst und Blumen seine Freude hatte, könnten darüber hinaus seine sorgfältigen Einträge über frühe oder späte Trauben und Erdbeeren, über Birnen und Rosen vermuten lassen. Allerdings spielte wohl auch bei solchen Nachrichten das anspruchslose und unersättliche Interesse für das Ungewöhnliche mit, das den Zeitgenossen auch "2 kretzlin mit erper (Erdbeeren) am 22. September" bemerkenswert erscheinen ließ.
[As the majority of his contemporaries, Wilhelm Rem regarded weather and harvest as serious subjects, they took much space in his chronicle. Every year he noted if it was an unusually cold or warm winter and dry or sumptuous summer with their good or bad effects on the fruit and grain harvests. In an inconspicuous note, Wilhelm Rem notes that he possessed a garden; the fact that he enjoyed its fruit and flowers showed in careful entries about early or late grapes clusters, strawberries, pears and roses. His unstated interest in the unusual or remarkable was also evident in his messages such as, "2 kretzlin (a counting or volume word?) of strawberries on 22 September." (a late date for strawberries)]
Dies Interesse für Kuriosa jeder Art besaß Rem in noch stärkerem Maß als sein Zeitgenosse Sender. Wie dieser war er fasziniert von tierischen Mißgeburten und menschlichen Deformierungen. Der Leser erfährt von "wunderbaren" Vögeln und wird mit eingehenden Beschreibungen seltsamer Rösser unterhalten, von denen eines z. B. "kain pferd oder hengst und auch kain stutten" war. Am stärksten hatte unsern Chronisten ein französischer Knabe beeindruckt, der um zwei Pfennige seinen Auswuchs in Kindsgestalt vorzeigte.
[This interest in strange things possessed Wilhelm Rem more strongly than his contemporaries. Like them, Wilhelm was fascinated by animal and human deformities. His chronicles contain descriptions of 'marvelous' birds and detailed descriptions of strange horses. He was also strongly impressed by the Frenchman who had attained his full growth but who still had a child's body.]
Wenn Rem sich in dieser Hinsicht nicht von seinen Zeitgenossen abhob, unterschied er sich doch in seiner Stellung zu den Himmelserscheinungen und Wunderzeichen aufs schärfste von ihnen. Als sich die Kunde verbreitete, in Wien hätten sich "3 sunnen und 3 monschein mit seltzamen zaichen am himel" gezeigt, glaubte Rem nicht den Flugblättern, sondern erkundigte sich bei Leuten, "den zu glauben was und die zu der selben zeit in Wien waren gewesen". Ihre Aussagen führten das angebliche Wunderzeichen auf grellen Sonnenschein bei starker Kälte und auf den guten "Osterwein" zurück. Die Kometen, die Rem selbst erlebte, beschrieb er mit kühlen Worten sorgsam und genau, ohne diese Himmelserscheinungen irgendwie ausdeuten zu wollen. Vom Komet von 1519 berichtete er z. B.: "um 4 ur nachmittag da ward hie am himel ain comet gesehen, das was ain rotter strich und bei 2 elen lang und hett darob ain schwartzen strich, der was als lang als der rott strich, er was aber nicht so prait als der rott".
[If Wilhelm Rem did not stand out from his contemporaries in his interest in the unusual, he did differ in his position on sky features and the miraculous nature of them. When the news spread that Vienna had had three days and nights of "seltzman zaichen" in the sky, Rem did not believe the statements. He inquired of people believed to have been in Vienna at that time. Their statements attributed the alleged miracle to the bright sunshine, strong cold weather, and Austrian wine. Rem described comets that he had experienced with cool words carefully and exactly without wanting to interpret them. Of the comet in 1519 he reported, "around four in the afternoon, there was a comet seen in the sky which had two long tails, one of which was red and the other darker".]
Skeptisch betrachtete Rem auch andere Wunderzeichen. Als 1502 in Augsburg "ain geschrai" aufkam, "es fielen kreutz auf hemmet und den frauen auff die schlair", hielt Rem "gar nichtz darvon", sondern suchte und fand eine natürliche Erklärung. Auch die Poltergeister iffi mrichskloster stießen bei Rem zuerst auf Zweifel, die sich allerdings bald auflösten, da er Zeugen für die Geisterumtriebe fand. Wir sehen daran, daß Rem sich neben aller Skepsis doch einen Rest von Wundervorstellungen bewahrte. Obwohl er die scheinbar wunderbaren Heilungen in einem neuen Bad gegen "lemi und schäden von der Frantzosen plattern" gleich als falsch durchschaute und gegenüber den "zaichen" der Muttergottes von Regensburg reserviert blieb, glaubte er fest an Wunderheilungen der "lieben frau zu Mailand". In überzeugtem Ton erzählte er auch die Geschichte des jüdischen Hostienschänders, der sich eine Hostie verschafft und sie mehrmals durchstochen hatte. "Und wan er darein gestochen hett", so fuhr Rem fort, "so was das sacrament plutfarb worden und het sich dann wider verkört und was worden, wie es am ersten gewesen was". Der Jude bekehrte sich daraufhin, "dan er sech, daß unser glauben gerecht wer".
[Rem regarded other miracles skeptically. In 1502, at the Cross of Heaven monastery in Augsburg there was an outcry about the sighting of a spirit called 'the lady of the veil'. Rem wanted to find a natural explanation, but his doubts of this poltergeist dissolved when he found witnesses of this spirit activity. He also checked up on the apparently marvelous healings in a new bath. He found the reports to be "trickery along the French pattern" and said such miracles were wrong and against the 'rules' of the Mother God of Regensburg. However, he firmly believed in the miracle healing of the loving wife in Milan. In a convincing tone, he also told the story of the Jew who had violated the holiness of the communion wafer. When he ate the communion wafer, it burned his mouth and 'poked through' several times. The blood colored sacrament was expelled as it was protecting itself against those with a different religious association. Thereupon, the Jew was converted, so it seems that our beliefs were validated. These two reports prove that Rem could not extract himself completely from the people's faith and the miracle craze of his time. However, for his time, Rem had an unusually sober skepticism. He tried to address the supernatural and miracles of his environment using reason.]
Diese beiden Berichte, die noch aus Rems altgläubiger Zeit stammen, beweisen uns zwar, daß der Chronist sich nicht vollständig dem Volksglauben und der Wundersucht seiner Zeit entziehen konnte, beeinträchtigen aber nicht das obige Ergebnis, daß Rem mit einer für seine Zeit ungewöhnlichen nüchternen Skepsis den übernatürlichen Erscheinungen und Wundern seiner Umgebung auf den Grund zu gehen versuchte.
[These two reports do not prove that Rem could extract himself completely from the people faith and the miracle craze of his time. For his time Rem had an unusually sober skepticism - he tried to address the supernatural features and miracles of his environment using reason.]
2. Religiöse Stellungnahme
Abgesehen von den beiden Quellenstellen, die auf Rems Glauben an die hilfreiche Gottesmutter und die mystische Kraft und Heiligkeit der Hostie hinwiesen, bietet uns die Reffische Chronik keinerlei Aufschluß über die Frömmigkeit ihres Verfassers. Nirgends wies der Chronist auf Gottes mahnendes und strafendes Wirken iffi Menschenleben und in der Geschichte hin; der Name Gottes erscheint nur in den zeitüblichen frommen Schlußformeln, die nicht unbedingt als Ausfluß echter Gläubigkeit gewertet werden können.
[Apart from the two source places which referred to Rem's faith in the helpful God and the mystical strength and holiness of the communion wafer, the Rem does not offer any explanation of his the piety. Nowhere did Rem refer to God reminding, punishing, and working in human lives and in history; the name of God appears only in the pious complimentary in the closing phrases, thus his genuine belief cannot be rated.]
So wenig wir aber über Rems Frömmigkeit aussagen können, so deutlich ist seine Stellung zur alten Kirche. Kein Zweifel kann daran bestehen, daß er der kirchlichen Wirklichkeit von Anfang an sehr kritisch gegenüberstand. Schon die in die Chronik eingeflochtenen Anekdoten von der Günstlingswirtschaft, der Wortbrüchigkeit und Grausamkeit des Papstes und die pointierten Berichte über die Habgier und Sittenlosigkeit niederer und höherer Geistlicher lassen uns, obwohl sie kommentarlos aufgezeichnet sind, Rems kritische Gedanken ahnen.
[There are few things we can say about Rem's piety; it is clear about his position on the old church. No doubt can exist that he faced the reality of church very critically from the outset. Anecdotes woven into the chronicle report the greed and lack of morality of the clergymen who were appointed by the Pope and the cruelty of the Pope. As is his style, these things are noted without comment by Rem.]
Der Chronist scheute auch nicht davor zurück, diese Kritik deutlich zu formulieren, und zwar hakte er zuerst beim Finanz- und Ablaßwesen der Kurie ein. Die verschiedenen Ablässe, angefangen vom Ablaß zum Bau der augsburger Dominikanerkirche bis hin zum Türkenablaß waren in seinen Augen "bieberei" und dienten nur dazu, die "ainfeltigen leut umb ir gelt (zu) laichen (erleichtern) ". Die Geistlichen machten dem Volk vor, sie brauchten Geld für fromme Zwecke und nachher füllten sich Bischöfe und Stiftsgeistliche mit dem Geld die eigenen Taschen, während der Papst seine Kriege und seine Nepotenwirtschaft damit finanzierte. "Die bäpst", so faßte Rem einmal zusammen, "haben viel gnaden in unsern landen gehabt und gros gelt gesamlet und diebisch verzert".
[The chronicler did not shrink from criticism of the financial drain of the Curie in Rome. In his eyes, the building of the Augsburg Cathedral and fighting the Turks were serious and unnecessary financial drains. He felt was robbery and the main excuse used to facilitate getting money from the people. The clergymen told the people the money was for pious purposes, but in fact it went into the pockets of the clergy, bishops, and the Pope. Rem said once that "The Pope and the bishops favor our land to gather the bulk of the money they consume."]
Das hauptsächliche Verdienst Luthers, des "frummen und gietigen vatters", lag für Rem darin, dieses römische Unwesen angegriffen und verurteilt zu haben. Luther, so notierte Rem 1520, "schrieb vil von der gnad und ablas, die der bapst ausgab und von seinen Romanisten, was sie für ain wesen triben und wie der bapst vil geltz aus teutschen landen mit solicher schinderei zuwegen bracht. ..". Von den andern theologischen Anliegen Luthers sprach Rem nur allgemein als von " vil gutter nutzlicher underweisung"; alle Prädikanten, die "fast (fest) auff des Luthers seitten" waren, "predigetten ...das evangeliumb recht". Er war sich des Zündstoffs, den Luthers Theologie für die alte Kirche enthielt, so wenig bewußt, daß er 1526 empört berichtete: "der Keiser lies den stetten 1 schrift fürhalten, als ob sie unsern kristelichen gelauben nicht recht hielten. ..". Seiner Überzeugung nach hätte es überhaupt keine Konflikte gegeben, hätten Luther und seine Gleichgesinnten ungestört "gutt evangelisch ding und von der hailigen geschrift" predigen können, wenn die "Pfaffen" nicht gewesen wären. Denn "die allergelertesten leutt in teutschen landen die hielten es mit dem Luther und sunst der gemain man auch, aber die pfaffen, die waren gemainlich darwider".
[To Rem, the main service that Luther provided was to have attacked and condemned the Roman nuisance. In 1520, Rem noted, " much has been written about the favor and indulgences handed out by the Pope to his 'Romans' and those who belong to the 'one tribe' (Catholics) who took a lot of money out of the Teutonic lands which had been achieved with much hard work." Of the other theological aspects of Luther, Rem spoke only generally of standing firmly with Luther and that "his assessment proving much more useful" and "being a quite evangelical message." Rem was not conscious of the explosion that Luther's theology was having on the old church. In 1526, he indignantly reported, "The Kaiser read the first written list as if they (the monks with Luther) did not quite keep with our Christian beliefs." He was convinced that there were no conflicts at all and wanted Luther and his (democratic) group to be allowed to speak unimpaired as it was "a good Evangelical thing for holy orders to be able to preach without the fear of being seized." All the scholars and the common people in the Teutonic lands held with Luther and a common atonement, but the priests were against it."]
Gründe für den Widerstand der Geistlichen suchte Rem keine, ihm genügte, daß sie eben "das gotz wort nicht recht predigen lassen wollten". Hinter den Pfaffen stand wiederum der Papst, der es nach Rems überzeugung durch Bestechungsgelder erreicht hatte, daß das Wormser Edikt zustande kam, und der dem Cochläus " vil gelt oder gutt pfründen verhaissen" hatte, wenn er Luther umbringe. All dies war jedoch umsonst, es "wolt der pfaffen anschlag kain fürgang gewinnen". Das Wormser Edikt wurde in Augsburg nicht ernstgenommen, die Domherren und Kleriker durften sich nicht rühren, "dan das gemain volck und auch die burger waren als gut lutherisch".
[Rem looked for reasons for the resistance of the clergymen, it was sufficient that they didn't want to preach God's word. Behind the priests stood the Pope who, Rem was convinced, had become Pope through bribes. The Worms edict came, and which the Cochlaeus "vil gelt or gutt had pfruenden verhaissen", if it killed Luther. All this was, however, in vain since the priests didn't notice the public's opinion. The Worms edict was not taken seriously in Augsburg. Under the edict, the Cathedral Head and Clerics were not allowed to agitate the common folk and the burgers just because they were good Lutherans.]
Optimistisch und zukunftsfroh scheint Rem die Anfänge der Reformation als Befreiung von der verhaßten Herrschaft Roms und der Pfaffen genossen zu haben. Der Gedanke oder die heimliche Furcht, daß diese Entwicklung von außen angegriffen und gestört werden könnte, ist in seiner Chronik nirgends zu entdecken.
[Optimistically Rem seems to have enjoyed the beginnings of the reformation as release from the hated rule of Rome and the priests. The thought that this development could be attacked and disturbed from the outside is not to be discovered in his chronicle.]
3. Bild der städtischen Gesellschaft
Weniger zuversichtlich war das Bild, das Rem von den innenpolitischen und gesellschaftlichen Zuständen in Augsburg entwarf. 1516 kommentierte er die Lage mit den Worten: "Gott weIl, daß es gut alter nem, es stund warlich nicht wol hie"; und einige Jahre später beschrieb er ausführlich das "bös regiment", das seit Jahren im Rat herrsche. Rem warf den maßgeblichen städtischen Politikern vor, für ihr Amt nicht geeignet zu sein, parteiisch vorzugehen und heimliche Intrigen einer offenen Stellungnahme vorzuziehen. Daher bemühe sich der Rat stets darum, unangenehme Affären zu "vertrucken". Daß man die weit und breit bekannte religiöse Betrügerin Anna Laminit ungeschoren aus der Stadt hatte ziehen lassen und daß der augsburger Rat sogar noch die amtliche Nachricht von ihrem Verbrechertod in Freiburg geheimzuhalten versuchte, bezeichnete Rem als "ain schand" für die ganze Stadt. Tücke traute Rem dem Rat, der "fast an den pfaffen. .. hieng", auch gegenüber den Anhängern Luthers zu. Als man Schilling in seinem Kloster "wie ain hund" behandelte, vermutete Rem, "es mecht ains ratz underweisung sein gewesen".
[The image Rem suggested of the domestic political and social conditions of Augsburg were less confident. He commented on the conditions with the following words: " Gott well , dass es gut alter nem, es stund warlich nicht wol hie"; and some years later he described the bad regime, that had ruled the council for years. Rem accused the city politicians of being unfit for office, preferring secret plots and nepotism to open debate. For that reason the council always sought to subdue unpleasant business. That they let the widely notorious religious swindler Anna Lammit leave the city unpunished , and that the council of Augsburg even attempted to keep the official news of her death as a criminal in Freiburg Rem deemed as a shame to the whole city. Rem held the council to be malicious in relation to Luther's followers, clinging to the Pope. When they treated Schilling like a dog in his monastery , Rem assumed, "es mecht ains Ratz underweisung sein gewesen".
Den Hauptschuldigen an all diesen Mißständen sah Rem im Stadtschreiber Peutinger, der stärker als alle andern seine Freunde und Verwandten begünstige, bei seinen politischen Missionen für seine persÖnlichen Interessen sorge und außerdem auch bestechlich sei. "Derselb Beyttinger", so faßte Rem zusammen, " was ein grosser bub, er nam das gelt flux von leutten".
[The main culprit and responsible for all these irregularities Rem found in the city clerk Peutinger, who more than anyone favored his friends and relatives, in political undertaking he sought personal benefit and took bribes. "Derselb Beyttinger", Rem summarized, was like a big boy that just took money from people.]
Nicht weniger kritisch stand Rem den führenden Geschäftsleuten der Stadt gegenüber. Jakob Fugger betrachtete er als den Drahtzieher aller Maßnahmen gegen das religiöse Erneuerungsstreben in Augsburg, angefangen beim Druckverbot lutherischer Bücher bis hin zur Vertreibung Schillings. Rem hielt den reichen Handelsherren sogar für fähig, eine hohe Belohnung auf einen flüchtigen "lutherischen" Mönch ausgesetzt, ja sogar einen Mordanschlag gegen ihn geplant zu haben.
[Rem looked at the prominent businessmen of the city no less critically. He regarded Jakob Fugger as the wire-puller of all measures against religious renewal in Augsburg, beginning with the pressure for the prohibition of Lutheran books to driving Schilling out. Rem suspected the rich commercial gentlemen of high reward an attempted assassination of volatile Lutherish monk.]
Die tiefe Abneigung, die Rem gegen Jakob Fugger und seine ganze Familie hegte, richtete sich weniger gegen den überzeugten Altgläubigen, der "auff des bapsts seitten ...wider den Luther" war, als gegen den Kapitalisten, der mit dem Papst lohnende Geschäfte mit "geistlichen gietern" machte. Ob Fugger auch von dem Vorwurf mitgetroffen werden sollte, "daß grösser dieb nicht sein dan die obresten in etlichen gesellschaften", geht aus der Quelle nicht eindeutig hervor. Fest steht jedenfalls, daß Rem die herrschende Geschäftsmoral seiner Zeit verurteilte, die solche Kaufleute als "geschickt" bewunderte, welche auf Kosten anderer reich wurden.
[The total rejection of Jacob Fugger and his whole family by Rem was to a lesser degree directed against the "old believers", who sided with the Pope against Luther, than against the capitalists who profited through profitable business with priestly "gietern". Whether Fugger also should be included in the suggestion that : "bigger thief will not be found than the leaders in some societies", is not entirely clear from the source. That Rem passed judgment on the dominant business morals of his time in the admiration of such businessmen as "clever/capable" enriching themselves at the expense of others is ,however entirely clear.]
Nicht minder hart verurteilte Rem aber auch, wie wir in anderem Zusammenhang bereits hörten, die üppige und zügellose Lebensweise der mittleren Bevölkerungsschicht. Für Rems ständisches Denken war Luxus und übertriebener Aufwand bei Angehörigen des Handwerkerstandes ebenso ungehörig wie das Aufbegehren der armen Unterschichten gegen den Rat.
[No less condemning was Rem, as we have already heard in other connections, regarding the excessive and sumptuous lifestyle of the middle class. To Rem's "standisches" thinking the luxurious and excessive spending by members of the craftsman class just as improper as the rebellion by the lower social classes against the council.]
Wie seine persönliche Wohltätigkeit zur Genüge bewies, verschloß Rem keineswegs seinen Blick vor der Not und Armut der Mittellosen, doch rechtfertigte in seinen Augen eben auch die schlimmste Not nicht ungehorsam und Aufruhr.
[As proved by his personal charity, Rem was not blind to need and desolateness of the poor still the worst poverty did not in his opinion justify disobedience and rebellion.]
Beim Aufstand von 1524, der ihm rein religiös motiviert erschien, stand Rem auf Seiten des Volkes, doch in allen andern Fällen von Unruhe und Gärung unter den armen Handwerkern plädierte Rem für hartes Durchgreifen. Als sich während einer Hungersnot "gros gemurmel" und "vil beser red" gegen die Obrigkeit unter dem einfachen Volk erhob, kritisierte Rem, daß der Rat nichts unternahm, und wies daraufhin, "zu Ulm oder an ander orten hett man in die köpf abgeschlagen".
[As proved by his personal charity, Rem was not blind to need and desolateness of the poor still the worst poverty did not in his opinion justify disobedience and rebellion. In the rebellion of 1524 , which appeared to him to be motivated by religion, Rem sided with the people, however, in other instances of unrest and rebellion among the poor craftsmen, Rem spoke out for decisive action. When simple people rose up against the authorities with complaints and bad talk during a time of hunger, Rem criticized the council for inaction and pointed out that "in Ulm and other places they would have their heads chopped off.]
4. Gesamtpolitische Schau
Wenn Rem die Gesellschaft und Regierung des augsburger Gemeinwesens stark kritisierte, so bedeutete das nicht, daß er nicht an seiner Vaterstadt hing oder ihren politisch-verfassungsmäßigen Status ablehnte. Wir haben zwar keinen direkten Beleg für reichsstädtisches Denken oder reichsstädtischen Stolz unseres Chronisten, doch gestatten seine Urteile über die verschiedenen Stände und Machtgruppen im Reich auch Rückschlüsse darüber, wie er die Situation der Reichsstädte beurteilte.
[When Rem criticized the society and government of the Augsburg community, it did not mean that he was not attached to his home city nor that he rejected the political and legal status. We do not have any direct proof of his ("reichsstädtisches") city-state thinking or ("reichsstädtischen") city-state pride, still his judgment of different "Stände" and power groups provide indirect evidence of his attitude.]
Rem gab zu, daß Kaiser Maximilian "den von Augspurg" günstig war, vor allem den Kaufleuten, die" vil gelt an im ...gewunen" und" wol scheren. ..kunden". Gerade dieser neue Reichtum und der Luxus, der durch den Kaiser in die Stadt gebracht wurde, erschien Rem aber ungesund und verderblich. Auch sonst sah er den kaiserlichen Freund der Augsburger mit sehr kritischen Augen. Der Kaiser, der "frum und nicht von hocher vernunft" war, stand ganz unter dem Einfluß seiner unwürdigen Räte und duldete, daß diese von allen Bittstellern reiche "schanekung" annahmen und sich schamlos bereicherten. Rem ging so weit, zu versichern, "Karel von Hispania" habe die Räte Maximilians bestochen, damit sie den Kaiser überredeten, die Kandidatur seines Enkels zu fördern.
[Rem admitted that Kaiser Maximilian favored the Augsburgers, in particular the merchants who profited greatly and "wol scheren. ..kunden". Indeed this new wealth and luxury that was brought to the city by the Kaiser appeared unhealthy and corrupting to Rem. He also regarded the Augsburgers friend, the Kaiser, very critically in other connections. The pious Kaiser lacked common sense and was completely under the influence of unworthy advisors and tolerated that these took bribes and enriched themselves shamelessly. Rem even claimed that "Karl of Spain" had bribed Maximilian's advisors into promoting the candidacy of his grandchild and convincing him thereof.]
Der Kaiser selbst " wolt stetzs kriegen und hett doch kain gelt". Gegen diese kriegerische Besessenheit Maximilians wandte Rem sich mit harten Worten. Er beklagte nicht nur die Kriegsgreuel, sondern machte auch den Kaiser dafür verantwortlich, daß in seinen Kriegen " wol 5 bis 6 mal hundert tausend menschen erschlagen und umb sein kommen". Weiter warf Rem dem Kaiser vor, die Städte, und nicht die Fürsten hätten stets die Hauptlast seiner Kriegszüge zu tragen.
[The Kaiser himself only wants to fight wars and has no money. Rem turned against this martial obsession with hard words. Not only did he deplore the atrocities, he even held the Kaiser responsible for the slaughter and death of 5 to 6 times thousand people. Furthermore Rem accused the Kaiser of leaving the burden of warfare on the cities (citizens) in place of the noblemen.]
überhaupt vernachlässigte der Kaiser in Rems Augen sträflich die Belange der Städte, da er nicht scharf genug gegen Franz von Siekingens Raubzüge durchgriff und auf den Reichstagen die Anliegen der Städte vernachlässigte. Die schlimmsten Gegner der Städte waren für Rem jedoch die Fürsten. Ein Rechtsbruch des Herzogs von Bayern, des Erbfeinds der Stadt, veranlaßte Rem zu dem verallgemeinernden warnenden Ausruf "es soll sich jederman hieten vor den fürsten".
[According to Rem the Kaiser criminally neglected the interests of the cities in that he did not intervene sharply enough against the robberies of Franz of Siekingen and furthermore that he neglected the interests of the cities in the 'Reichs-councils'. The worst opponents of the cities were still the noblemen. A breach of the law by the Duke of Bavaria, the archenemy of the city, led Rem to exclaim the common warning 'everybody should protect themselves against the noblemen'.]
Wortbrüchig und bestechlich waren jedoch nicht nur die Fürsten, sondern auch die kleinen Adligen. Alle adligen Mitglieder des Schwäbischen Bundes betrachteten die verbündeten Städte nur als bequeme Geldgeber, auf die man alle Lasten abwälzte, ohne ihnen nur den geringsten Vorteil zu gönnen. "Die edelleut die im pundt waren", so betonte Rem, wollten nicht, "daß es den stetten wol wer gangen", ja, sie sagten öffentlich, "daß die stett verderben miesten".
[The noblemen were not alone in being corrupt and breaking their words the lesser of the nobility were no better. Members of the Swabian union/alliance considered the cities of the union solely as easy cash-cows, to be exploited in every way, without being given any advantage. According to Rem the nobility of the union did not wish to see any prosperity in the cities they even said publicly that 'the cities may as well spoil'.]
Die negative Meinung Rems verstärkte sich noch durch die Rolle, die viele Fürsten und der Schwäbische Bund im Bauernkrieg einnahmen. Wir sahen oben, daß unser Chronist keineswegs ein Freund von Aufruhr und Aufständen war, und diese Grundhaltung behielt er auch gegenüber den aufständischen Bauern bei. Maßvolle Strafen, wie sie z. B. der "redliche. ..Hans von Saxen " verhängte -er ließ einige Bauern köpfen, den andern "nam er die wer, er tett in am gutt nichtz" - befürwortete auch Rem. Scharf ablehnend verhielt er sich jedoch zu den Maßnahmen des Pfalzgrafen, der seine gefangenen Bauern samt und sonders von rückwärts erstechen ließ, und zu dem " teuffelheftigen " Morden des Schwäbischen Bundes. Unser Chronist war nämlich überzeugt davon, daß "der merer tail" der Bauern unschuldig war und konstatierte angesichts der " ungerechtigkeit" des ganzen Strafzuges: "der teufel het den pundt gar besessen wider die armen pauren!"
[The role of the nobility and the Swabian federation in the peasants rebellion reinforced Rem's negative opinion. As we have seen our chronicler did not regard riots and rebellion with any sympathy an attitude he kept towards the rebellious peasants. Rem was a proponent of adequate punishment as for instance imposed by the "honest . .. Hans of Saxony", he had some peasants decapitated and the others "nam er die wer, tett am gutt nichtz". He was, however, strongly opposed to the measures taken by the duke of Palantine, who let his peasant prisoners be stabbed to death from behind, furthermore he was opposed to the fiendish murders in the name of the Swabian federation. Our chronicler was indeed convinced that the majority of the peasants were innocent and claimed that ("der Teufel het den punt gar besessen wider die armen pauren") ~ the federation was possessed by the devil against the paupers.]
Wenn Rem die Reichspolitik auch vorwiegend aus städtischer Sicht betrachtete und beurteilte, hatte er doch nichts von einem Kirchturmpolitiker an sich. Er verfolgte nicht nur die Dinge, die seine Vaterstadt betrafen, sondern informierte sich gleicherweise über die wichtigsten weltpolitischen Ereignisse. Während seine Berichte über ferne Völker und Herrscher hauptsächlich die Freude am Fremden und Exotischen verraten, befaßte unser Chronist sich ernsthaft mit den europäischen Völkern, die zu den Deutschen in kaufmännischen oder auch in kriege; rischen Beziehungen standen.
[[In regarding domestic politics dominantly from a city-state point of view Rem was no particularly conservative. ("Kirchtumpolitiker" defined as conservative in Duden UDW AZ) Not only did he pay attention to matters regarding his home city he was informed about most important world political events. While his reports give away a joy in the strange and exotic regarding far away peoples and rulers, our chronicler was seriously involved with the European peoples to whom the Germans had relation, in commerce and in warfare.]
Rem war sich bewußt, daß alle christlichen Völker zur Solidarität im Kampf gegen die einfallenden Türken verpflichtet waren und beklagte, "daß wir kristen ainander so untreu sein". Sobald es sich aber nicht um die Türkengefahr handelte, trat bei Rem das christliche Verbundenheitsgefühl hinter dem Bestreben zurück, die eigene Art von den Nachbarvölkern abzugrenzen, die eigenen "Volksinteressen" zu sichern.
[Rem was conscious of the fact that all Christian peoples were obligated to solidarity against the attacking Turks and lamented of the lack of loyalty among Christians( "we Christians are so disloyal to one another"). In other respects when the threat of the Turks was not in center, Rem's the sentiment of Christian solidarity waned in order to secure their own uniqueness and interests in relation the neighboring peoples.]
Empfindungen für das Römische Reich deutscher Nation fehlten bei unserm Chronisten völlig, kaum daß der Begriff "reich" in seiner Chronik einmal vorkommt. Dafür grenzte er die " Teutschen" deutlich gegen die " Walchen", die "Spanioli" und die "aidgenossen" ab und benutzte mehrmals den Terminus "die teutschen lande", allerdings ohne sie gebietsmäßig abzugrenzen. Ruft man sich dazuhin ins Gedächtnis zurück, wie betrübt Rem über die Wahl des "spanischen" Karl zum Nachfolger Maximilians war und wie sehr er die Kurie als Feindin Deutschlands betrachtete, so stellt man fest, daß Rem Ansätze von Nationalgefühl besaß, allerdings ein rein negatives Nationalbewußtsein ohne aufbauende Kraft. Das eigene Volk als Einheit begann sich erst von den andern Völkern abzuheben, ein lebendiges Bild der "Nation" mit ihren Eigentümlichkeiten und Werten war noch nicht herangewachsen.
[Rem was void of any sentiment for the "Roman Empire of German Peoples", the word Empire is hardly present in his chronicles. For that reason he clearly distinguished between the German people on the one hand and the "Walchen"(~Austrians), the "Spanioli" (Spaniards) and the "Eidsgenossen" (Swiss) on the other and frequently used the expression German Lands, even though he did not define the geographical area. Recalling Rem's sadness regarding the choice of the Spaniard Karl as successor of Maximillian and how much he regarded the Papal Court (Kurie) an enemy of Germany one must conclude that Rem had the beginnings of a national sentiment, even if it was purely negative without any constructive energy. The distinction between own people, with its values and peculiarities, a live image of the Nation had not yet emerged.]
Rem war im Gegensatz zu Sender kein religiöser, sondern ein politischer Mensch. Zwar wurzelte er fest in seiner Vaterstadt, doch reichten sein Blick und seine politischen Interessen weit über die städtischen Mauern hinaus. Sein nüchterner und kritischer Sinn stand vielleicht einem tiefen religiösen Ergriffensein im Weg, befähigte ihn aber zusammen mit der ihm eigenen echten Menschlichkeit zu abgewogenen und eigenständigen Urteilen, die von einer überraschenden geistigen Unabhängigkeit zeugen.
[As opposed to Sender, Rem was more of a political person than a religious person. He was firmly rooted in his home city but extended his view and political interests far beyond the city walls. His sober critical mind was possibly an obstacle to a deeper religious sentiment, in addition to his genuinely humane sentiment he was in a position to come to well considered independent conclusions that bear witness to a surprising mental independence.